Die Lautsprecher haben das Wort „Atemlos“ noch nicht einmal ansatzweise angehaucht, da dreht der DJ ein weiteres Mal am Regler. Die Richtung seiner kurzen Handbewegung ist eindeutig. Was die rund 70 Mitfahrerinnen und Mitfahrer auf dem Daimler-Paradewagen beim Christopher Street Day in Stuttgart von der steigenden Lautstärke halten, auch.
Kurz frage ich mich, ob Helene Fischer gemeinsam mit den freudig-lauthalsen Kehlen meiner Kollegen auf der Dezibel-Skala zu einer neuen Kategorie oberhalb des Düsenjets ernannt werden sollten. Bremer wie Böblinger, Ingenieurin wie Personaler, Familienmutter wie Mitglied des schwul-lesbischen Mitarbeiternetzwerks GL@D – sie alle singen von Küssen auf der Haut und Liebes-Tattoos. Oho, oho. Bilder, die man nie vergisst.
Gerade will ich mit einstimmen, da entfernen sich die Gesänge der aus dem gesamten Konzern zusammengewürfelten Truppe. Ich nehme nur noch Wortfetzen wahr.
Schwindelfrei. Großes Kino. Ganz berauscht.
Flashback. Rückblende
Auch die Zuschauer am Straßenrand, winkend, mitsingend, von uns (oder unseren Gummibärchen?) beglückt, verschwimmen vor meinem inneren Auge zu Schemen. Und urplötzlich versetzen mich meine Gedanken zurück zu einem grauen Novembertag des vergangenen Jahres. Flashback. Rückblende in ein Daimler-Besprechungszimmer in Untertürkheim, das nur geringfügig farbenfroher ist als das Wetter.
Eintreten für Vielfalt
Auf der Tagesordnung steht „CSD 2014 – Lessons learned.“ Ein Titel, der in Großkonzernen bedeutungsschwanger umschreibt, dass man schlicht mal Bilanz ziehen möchte. In diesem Fall davon, wie die erste Teilnahme unseres Unternehmens am CSD in Stuttgart so angekommen ist. Das Urteil der beteiligten Bereiche – vom Global Diversity Office über die interne und externe Kommunikation bis hin zu unseren hauseigenen Designern, die den Paradewagen gestaltet haben – könnte klarer nicht ausfallen.
Dass Daimler an einer Veranstaltung teilnimmt, die für ein buntes, weltoffenes und tolerantes Miteinander unabhängig der sexuellen Orientierung wirbt, verdeutlicht das Eintreten für Vielfalt. Nach innen und außen. Flagge zeigen am CSD macht den ebenso zentralen wie abstrakten Unternehmenswert Diversity lebendig. Learned lesson: Weiter so!
Vielfalt lebt vom Engagement
Als Vertreter von GL@D nehme ich die ausschließlich positiven Rückmeldungen in der Besprechung zufrieden zur Kenntnis. Gleichzeitig erschrecke ich ein wenig: Die beschlossene erneute Teilnahme 2015 wird wieder viel Arbeit für die Kollegen des Netzwerks bedeuten, die den Auftritt in großen Teilen selbstständig und zusätzlich zu ihren ganz regulären Jobs organisieren. Aber Vielfalt lebt schließlich von Engagement.
So nimmt die Maschinerie in den folgenden Monaten wieder Fahrt auf. Das Orga-Team bestehend aus rund zehn GL@D-Mitgliedern trifft sich, diskutiert, debattiert. Es geht um Grundsätzliches (Mit welchem Motto wollen wir ins Rennen gehen?), Gestalterisches (Welches Design soll unser Truck haben?) und Geschäftliches (Brauchen wir wirklich wieder ein Dixie-Klo auf dem Wagen?). Gemeinsam mit den zuständigen Fachbereichen finden wir Antworten.
„Pole Position für #Akzeptanz.“
Während die Notdurft-Frage recht schnell geklärt ist (mit einem dringenden Ja!), unsere Design-Kollegen geduldig Gestaltungsentwurf um Gestaltungsentwurf liefern, bleibt der Slogan lange unser Sorgenkind. Immerhin soll er zum Leitspruch des diesjährigen CSD – „Akzeptanz! Was sonst?“ – passen. Ganz ohne Einflussnahme unseres Motorsport-Teams einigen wir uns letztlich auf „Pole Position für #Akzeptanz.“ Als die Organisatoren der Parade uns Formationsnummer 66 von 72 zuweisen, sinkt mein Herz ob dieser Motto-Wirklichkeit-Schere kurz in die Hose. Andererseits können sich ja selbst Nico Rosberg oder Lewis Hamilton nicht einfach die gewünschte Startposition auf ihre Boliden pinseln. Und Akzeptanz steht beim CSD ohnehin an erster Stelle, egal auf welcher Position.
Apropos Akzeptanz: Immer wieder beschert uns das Projekt Momente, an denen selbige ganz schön strapaziert wird. Die bereits erwähnte Miettoilette, die bis zum Spätnachmittag vor der Parade an einem stillen Örtchen weilt, aber nicht auf unserem Truck. Die verschlossenen Türen eines Radiosenders nur wenige Minuten, bevor wir dort ein Live-Interview zu GL@D und Diversity geben. Oder ich, der am Parademorgen gedankenverloren den Lkw-Schlüssel zu Hause liegen lässt. All dies aber ist vergessen, als ich den Truck sehe, an dem die Wagenbauer in den Tagen vor dem CSD unermüdlich gewerkelt haben. Die Anstrengungen sind vergessen. Ich bin vor Begeisterung: Atemlos.
Atemlos, glücklich und stolz
Atemlos! Ein Kollege legt die Hand um meine Schulter und holt mich singend aus meinem Tagtraum zurück auf den Wagen, der erst im Schneckentempo fährt und nun kurzzeitig ganz zum Stehen gekommen ist. Ich blicke in die strahlenden Gesichter meiner Kollegen. Viele wirken befreit. Glücklich und stolz, dass sich ihr Arbeitgeber für eine Kultur der Offenheit einsetzt. Glücklich und stolz, dass bei Daimler egal ist, wen und wie man liebt. Glücklich und stolz, dass am Straßenrand Familien, Eltern, Kinder, Omas und Opas buchstäblich für Akzeptanz (ein-)stehen. Ich werfe eine Packung Gummibärchen über die Brüstung, ebenfalls stolz und glücklich. Und spüre, mit Helene Fischer und vielen anderen, was Liebe mit uns macht.
Der Beitrag Akzeptanz: Auch auf Position 66 an erster Stelle! erschien zuerst auf Daimler-Blog.